Ist der Gesellschafter-Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft selbständig oder nicht? Diese Frage beschäftigt alle Beteiligten bereits seit längerem, wobei die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in den vergangenen Jahrzehnten die Hürden für eine Versicherungsfreiheit immer höher und feinmaschiger ansetzt.
Feststellung der Sozialversicherungspflicht
Die Träger der Rentenversicherungen prüfen regelmäßig alle vier Jahre nach Maßgabe des § 28p SGB IV Arbeitgeber auf die Erfüllung der Melde- und sonstigen Pflichten nach dem Sozialgesetzbuch. Diese Prüfungen sollen zur Stärkung des Sozialkassensystems beitragen und die Beitragsentrichtung sicherstellen aber auch verhindern helfen, dass falsche Leistungsansprüche entstehen.
Um vorab eine Rechtssicherheit zu schaffen, ob beispielsweise eine Erwerbstätigkeit grundsätzlich der Sozialversicherungspflicht unterliegt oder nicht, kann ein Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung durchgeführt werden. Dieses muss jedoch beantragt werden, bevor ein anderweitiges Verwaltungsverfahren in die Wege geleitet wird (z.B. eine Betriebsprüfung angekündigt oder Fragebögen von Sozialversicherungsträgern übermittelt werden).
Bei Beschäftigung von Familienangehörigen und GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführern ist dieses Statusfeststellungverfahren nach § 7a Abs.1 Satz 2 SGB IV obligatorisch (BSG v. 19.09.2019, B 12 R 25/18 R, Rn. 15 ff.). Das BSG hatte in diesem Urteil entschieden, dass bei einer Betriebsprüfung der Status vorgenannter Personengruppen zwingend geprüft werden muss. Seit 2022 wird dieses Urteil von der Deutschen Rentenversicherung konsequent umgesetzt.
Kriterien für die Beurteilung der Sozialversicherungspflicht
Die Grenzen zwischen einer abhängigen Beschäftigung und einer selbständigen Tätigkeit zu erkennen, ist oftmals nicht leicht. Vornehmlich ist eine Person selbständig tätig, wenn sie in ihren Entscheidungen frei ist und auf eigenes Risiko unternehmerische Chancen und Risiken eingeht. Hierzu werden verschiedene Kriterien herangezogen, die entsprechend zu gewichten sind. Diese Abgrenzungsmaßstäbe gelten grundsätzlich auch für Geschäftsführer einer GmbH. Die Gesamtbetrachtung hat jedoch zusätzlich unter Berücksichtigung des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) und der gesellschaftsrechtlichen Regelungen bzw. getroffenen Vereinbarungen zu erfolgen.
Ein Gesellschafter-Geschäftsführer ist nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbständig tätig. Für die Beurteilung der Versicherungspflicht eines Geschäftsführers ist dessen Rechtsmacht maßgeblich, durch Einflussnahme auf die Gesellschafter-Versammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Diese leitet sich maßgeblich nach dem aus der Gesellschafterliste erkennbaren Umfang seiner Beteiligung am Stammkapital ab, so das BSG in seinem Urteil vom 13.03.2023 (B 12 R 4/21 R) unter Bejahung der Sozialversicherungspflicht bei einem vormaligen Minderheits- und zwischenzeitlichen Mehrheitsgesellschafter infolge des Versäumnisses einer nicht aktualisierten Gesellschafterliste im Handelsregister. Das BSG argumentierte hierbei, dass wegen des Erfordernisses der Klarheit und Vorhersehbarkeit sozialversicherungsrechtlicher Sachverhalte die Rechtsänderung beim Handelsregister hätte hinterlegt werden müssen. Es steht außer Frage, dass dieses Versäumnis durch die Geschäftsleitung verheerende Folgen für die Gesellschaft hatte.
Knapp ein Jahr später, hat das BSG mit Urteil vom 20.02.2024 (B 12 KR 3/22 R) eine den vorstehenden Grundsätzen auf den ersten Blick zuwiderlaufende Entscheidung getroffen. Im dortigen Fall hatten die Gesellschafter einen Beschluss zur Abberufung des Gesellschafter-Geschäftsführers gefasst, der erst einige Monate später in das Handelsregister eingetragen wurde. In den Vorinstanzen wurde noch im Lichte der Entscheidung des BSG vom 13.03.2023 darauf abgestellt, dass bis zur Eintragung in das Handelsregister keine Versicherungspflicht für den Gesellschafter-Geschäftsführer bestünde. Hiergegen argumentierte das BSG in seinem Urteil, dass die Eintragung bei Abberufung des Gesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH für die Abgrenzung von Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit nicht entscheidend sei.
Die Rechtsmacht als wesentliches Merkmal bei der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit eines Gesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH muss grds. gesellschaftsrechtlich eingeräumt sein. Mit der Abberufung war dem Geschäftsführer die erforderliche Rechtsmacht innerhalb der Gesellschaft entzogen worden. Der Senat zieht (weiterhin) für die Beurteilung der sich aus dem Umfang seiner Beteiligung am Stammkapital ergebenden Rechtsmacht eines zum Geschäftsführer bestellten Gesellschafters einer GmbH auch unabhängig von dessen materiell-rechtlicher Stellung – die im Handelsregister aufgenommene Gesellschafterliste heran. Diese Rechtsprechung, so das BSG, beruhe allerdings nicht auf einem durch die Publizitätswirkung des Handelsregisters erzeugten Rechtsschein, sondern auf der normativ geregelten besonderen formellen Legitimationswirkung der Gesellschafterliste. Nach § 16 Abs. 1 GmbHG gilt im Verhältnis zur Gesellschaft im Fall einer Veränderung in den Personen der Gesellschafter oder des Umfangs ihrer Beteiligung als Inhaber eines Geschäftsanteils nur, wer als solcher in der im Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste eingetragen ist. Dem in die Gesellschafterliste eingetragenen Gesellschafter stehen damit sämtliche Mitgliedschaftsrechte, d.h. auch das Stimmrecht gegenüber der Gesellschaft zu, ohne dass es auf seine wahre Berechtigung ankommt. Die Eintragung begründet eine gesetzliche Fiktion oder unwiderlegbare Vermutung. Für die Abgrenzung von Beschäftigung aus selbständiger Tätigkeit sei jedenfalls bei Abberufung des Gesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH nicht die Eintragung in das Handelsregister maßgeblich. § 15 Abs.1 HGB sei bei der sozialversicherungsrechtlichen Statusabgrenzung grundsätzlich nicht anzuwenden, da diese Vorschrift einen Einwendungsausschluss hinsichtlich (noch) nicht in das Handelsregister eingetragener Tatsachen normiere und das Vertrauen eines redlichen Dritten im Rechtsverkehr schütze.
Damit verbleibt es bei der Rechtsprechung des BSG, wonach bei mitarbeitenden Mehrheitsgesellschaftern sowie Gesellschafter-Geschäftsführern immer auf das in der Satzung festgelegte Stimmrecht abzustellen ist und die Frage, ob die Person einen maßgeblichen Einfluss auf die Gesellschaft, Weisungsrechte und/oder eine umfassende Sperrminorität hat (BSG v. 19.09.2019, B 12 R 25/18 R, Rn. 15 ff.). Eine sog. „unechte Sperrminorität, die sich nicht allumfassend auf alle Angelegenheiten der Gesellschaft, sondern nur auf bestimmte Bereiche bezieht, versetzt den Gesellschafter-Geschäftsführer nicht in die Lage, sich gegenüber Weisungen der Mehrheit in Bezug auf seine Geschäftsführertätigkeit zur Wehr zu setzen, die diesem nicht genehm sind, mit der Folge, dass eine selbständige Tätigkeit zu verneinen ist. Stimmrechtsvereinbarungen, die nicht in der Satzung geregelt sind, haben hingegen keine Auswirkungen auf die statusrechtliche Beurteilung des Beschäftigungsverhältnisses (BSG v. 11.11.2015, B 12 KR 13/14 R).Die außerhalb des Gesellschaftsrechts von Gesellschaftern getroffene Stimmbindungsvereinbarung ist nicht geeignet, die sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmachtverhältnisse mit sozialversicherungsrechtlicher Wirkung zu verschieben.
Sozialversicherungspflicht von Gesellschafter-Geschäftsführern in Holding-Konstruktionen
Über eine die abhängige Beschäftigung ausschließende Rechtsmacht verfügen aber nicht nur Geschäftsführer mit einer Kapitalbeteiligung von über 50 % am Stammkapital bzw. bei geringerer Kapitalbeteiligung, einer umfassenden Sperrminorität in der von ihnen geführten GmbH. Die Rechtsmacht kann auch daraus resultieren, dass der (Fremd-)Geschäftsführer kraft seiner Stellung als Gesellschafter einer anderen Gesellschaft in der Lage ist, Einfluss auf den Inhalt von Gesellschafterbeschlüssen der von ihm geführten Gesellschaft zu nehmen. Denn es kann keine Rolle spielen, ob er diese Rechtsmacht allein aus seiner Gesellschafterstellung in der von ihm geführten Gesellschaft oder aus seiner Beteiligung an einer anderen Gesellschaft ableitet. Für die sozialversicherungsrechtliche Statusbeurteilung ist aber auch eine solche von dieser Beteiligung an einer anderen Gesellschaft abgeleitete Rechtsmacht nur beachtlich, wenn sie ihrerseits im Gesellschaftsrecht wurzelt, also durch Gesellschaftsvertrag eindeutig geregelt ist und unmittelbar auf das zu beurteilende Rechtsverhältnis durchschlägt.
Der Senat hat eine entsprechende Rechtsmacht bejaht, wenn dem Geschäftsführer über seine Beteiligung an einer Muttergesellschaft eine umfassende (“echte” oder “qualifizierte”) Sperrminorität in Bezug auf das Stimmverhalten in der von ihm geführten Tochter-GmbH eingeräumt ist (BSG v. 20.02.2024, B 12 KR 1/22 R).
Sozialversicherungspflicht von Gesellschafter-Geschäftsführern ohne Personal/ mit nur einem Auftraggeber
Ähnlich verhält es sich, wenn ein Gesellschafter-Geschäftsführer zwar selbständig tätig ist, aber in seinem Unternehmen keine versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt und dauerhaft für nur einen Auftraggeber tätig ist (§ 2 Nr. 9 BSG VI). So hatte nämlich das BSG in seinem Urteil v. 24.11.2005 (B 12 RA 1/04 R) die Versicherungspflicht von GmbH-Geschäftsführern als selbständig Erwerbstätige auch dann bejaht, wenn sie selbst keine versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen und im Wesentlichen nur für die GmbH tätig sind. Einen Grund, die Vorschrift des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI nicht auf Gesellschafter-Geschäftsführer anzuwenden, sah das BSG nicht. Der Gesetzeswortlaut in § 2 Satz 1 Nr. 9b SGB VI wurde indes nach heftiger Kritik vom Gesetzgeber klarstellend mit einem Zusatz versehen und um den Halbsatz ergänzt: „bei Gesellschaftern gelten als Auftraggeber die Auftraggeber der Gesellschaft“. Damit muss ein Gesellschafter-Geschäftsführer bei dieser Konstellation nur dann nicht in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, wenn die GmbH mehr als nur einen Auftraggeber hat oder mindestens einen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt.
Praxistipp:
Vor, spätestens jedoch mit Aufnahme einer Tätigkeit, sollte über den Erwerbsstatus von selbständig Tätigen sowie Geschäftsführern Klarheit erzielt werden. Denn bei nachträglicher Ablehnung der Versicherungsfreiheit, können massive Beitragsnachforderungen und Säumniszuschläge auf die Unternehmen zukommen.
Hierbei ist also ratsam, im Vorhinein zu klären, in welchem Umfang der Geschäftsführer „Rechtsmacht“ ausüben soll, und diese spiegelbildlich auch im Handelsregister und den dort hinterlegten Dokumenten korrekt abzubilden, um keine Stockfehler zu begehen, die zu einem späteren Zeitpunkt die Gesellschaft teuer zu stehen kommen.
Aber auch der Einsatz von Fremdpersonal zur Bearbeitung von Aufträgen kann sozialversicherungsrechtlich das Risiko der Nachforderung von Sozialbeiträgen bergen und zu unliebsamen Überraschungen bei einer Betriebsprüfung führen. Hierzu müssen die geschlossenen Werkverträge nicht nur ordentlich formuliert, sondern auch entsprechend gelebt werden. Anderenfalls kann der Auftraggeber sozialversicherungsrechtlich als Arbeitgeber gewertet werden. Auch hier drohen unter Unterständen erhebliche Nachzahlungen für das Unternehmen.
Nutzen Sie daher die Expertise von spezialisierten Anwälten, um keine böse Überraschung bei der nächsten Prüfung durch die Deutsche Rentenversicherung (DRV) zu erleben.
Stand: 21.10.2024
Ansprechpartner:
Sabine Stölzel (Rechtsanwältin / Fachanwältin für Arbeitsrecht)
Cajus Wellens (Rechtsanwalt)
Kontaktdaten:
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