Schadenersatz eines Profimannschaftssportlers wegen Nichtbeschäftigung


Die für den Bereich der Bühnenkünstler entwickelte Rechtsprechung zum pauschalierten Schadensersatz von bis zu sechs Monatsgagen pro Spielzeit bei einer Verletzung des Beschäftigungsanspruchs kann nicht auf den Profimannschaftssport übertragen werden (BAG Urteil v. 29.02.2024 – 8 AZR 354/22).

 

Sachverhalt

Der Kläger war seit der Saison 2017/2018 als Eishockeyprofi in der DEL 2 bei der Beklagten beschäftigt. Am 03.06.2020 erhielt er eine ordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung mit dem Angebot, das Arbeitsverhältnis mit verringerter Vergütung fortzusetzten. Dies nahm der Kläger unter Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung der geänderten Arbeitsbedingungen an und erhob Änderungsschutzklage.

Am 17.09.2020 wurde er vom Mannschaftstraining freigestellt, welches am 21.09.2020 für die neue Saison 2020/2021 begann. Mit einstweiliger Verfügung vom 05.11.2020 erwirkte er wieder die Zulassung zum Trainingsbetrieb. Nur einen Tag später, am 06.11.2020, wurde dem Kläger die außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses ausgesprochen, deren Unwirksamkeit mit Urteil vom 09.03.2021 festgestellt wurde.

Im vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) anhängigen Revisionsverfahren war nunmehr noch über die vom Kläger begehrten Schadenersatzansprüche wegen der Nichtbeschäftigung zu entscheiden.

Woraus ergibt sich der Schadenersatzanspruch bei Nichtbeschäftigung?

Um Schadenersatz verlangen zu können, bedarf es einer Pflichtverletzung des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis. Nach ständiger Rechtsprechung hat der Arbeitnehmer entsprechend §§ 611a Abs. 1 S. 1, 613 i.V.m. 242 BGB einen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung. Aus diesem Anspruch ergibt sich im Umkehrschluss für den Arbeitgeber die Pflicht auf entsprechende Beschäftigung des Arbeitnehmers.

Da der Beschäftigungsanspruch eines Mannschaftssportlers insbesondere auch die Teilnahme am Training umfasst, ergibt sich vorliegend die Pflichtverletzung des Beklagten bereits daraus, dass er den Kläger ohne Rechtfertigungsgründe vom Mannschaftstraining ausgeschlossen hat. Durch diese Nichtbeschäftigung sah sich der Kläger in seinem beruflichen Fortkommen beeinträchtigt. Denn entscheidend für die berufliche Entwicklung eines Profieishockeyspielers ist sein Marktwert. Dieser vermindert sich üblicherweise durch fehlende Trainingspraxis, soweit der Kläger seine sportlichen (beruflichen) Fähigkeiten und Fertigkeiten im Mannschaftstraining wegen der Suspendierung nicht weiterentwickeln kann. Als Mannschaftssportler bedarf er einer ständigen Verbesserung und Weiterentwicklung seiner sportlichen Fähigkeiten durch die Trainingspraxis. Damit sei dem Kläger ein Schaden entstanden.

Wie bemisst sich der Schadensersatzanspruch wegen Nichtbeschäftigung?

Der Schaden, mithin die Vermögenseinbuße des Klägers, kann sich nur aus entgangenem Gewinn gem. § 252 BGB ergeben, welcher nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen mit Wahrscheinlichkeit erwartet war. Ist die Schadenshöhe strittig kann der Richter nach freier Überzeugung unter Würdigung aller Umstände gem. § 287 ZPO darüber entscheiden.

Der Kläger ging in seinem Vortrag davon aus, dass eine Pauschalierung des Schadens entsprechend der bereits für Bühnenkünstler entwickelten Rechtsprechung analog mit sechs Bruttomonatsvergütungen möglich und angemessen wäre. Denn für die Schadensbemessung bei Bühnenkünstlern bedarf es keiner weiteren Anhaltspunkte. Bühnenkünstler benötigen nicht nur die Berufspraxis, sondern sind darüber hinaus in besonderer Weise auf Kontakte und Bekanntheit in der Fachöffentlichkeit und Popularität beim Publikum angewiesen.

Wie das BAG nun in seiner Entscheidung feststellte, trifft dies auf Mannschaftssportler indes nicht in diesem Maße zu. So haben Profisportler im Gegensatz zu Bühnenkünstlern beispielsweise keinen rechtlichen Anspruch auf einen Spieleinsatz. Denn die Entscheidung, ob und wie ein Sportler bei Spielen eingesetzt wird, ist von verschiedenen Faktoren abhängig.

Daher kann ein Profisportler den ihm entstandenen Schaden nicht einfach pauschal beziffern. Er muss vielmehr für die Geltendmachung eines Schadensersatzes zumindest Anknüpfungstatsachen darlegen und beweisen, welche ausreichende Anhaltspunkte für den nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Gewinn und damit auch für die Bemessung eines Schadens geben.

Kommentar zur Entscheidung:

Die Anwendung der für Bühnenkünstler entwickelten Rechtsprechung zum pauschalierten Schadenersatz auf Profimannschaftssportler ist nicht grundsätzlich wegen Unvergleichbarkeit auszuschließen.

Der Schaden bei der Nichtbeschäftigung von Bühnenkünstlern ist nach Rechtsprechung dadurch entstanden, dass dem Künstler die Möglichkeit genommen wird, seine Kunst öffentlich zu zeigen und sein Können zu beweisen. Dadurch können sie auch ihre künstlerischen Fähigkeiten und Fertigkeiten nicht weiterentwickeln, da eine ständige Berufspraxis essentiell ist. Sie sind hinsichtlich ihres beruflichen Fortkommens außerdem auf Bekanntheit, Kontakte, Popularität usw. angewiesen, welche durch die fehlende Spielzeit vollständig vereitelt werden.

Bühnenkünstler erhalten für diesen Schaden einen pauschalen Schadenersatz in Höhe von bis zu 6 Bruttomonatsgehältern. Dieser wird im Rahmen des § 287 ZPO geschätzt ohne weitere Anhaltspunkte darlegen zu müssen, da sich dieser nicht genau beziffern lässt. Schwierigkeiten der Bezifferung ergeben sich insbesondere aus den o.g. ungewissen Parametern. Fehlt dem Künstler Spielzeit, fehlt ihm öffentliche Präsenz und daraus möglicherweise resultierende steigende Popularität, in Folge steigende Gewinne oder wertigere Aufträge. Dies ist so ungewiss, dass nur eine Pauschalierung des Schadens hilft. Es ist im Einzelfall je nach den Umständen auf einen Bruchteil der 6 Bruttomonatsvergütungen festzusetzen. Dabei werden Maßstäbe aus der Erfahrungswelt der Bühnenkünstler zu Grunde gelegt.

Die Rechtsprechung zur Pauschalierung ist nicht auf Mannschaftssportler übertragbar, da diese idR. gerade keinen Anspruch darauf haben, öffentlich aufzutreten und sich zu präsentieren im Sinne von Spieleinsätzen. Genau auf diese entzogene Möglichkeit des öffentlichen Auftritts stützt sich die Bühnenkünstlerrechtsprechung aber (s.o.)

Dagegen ist anzuführen, dass auch ein Profisportler, der zwar keinen Anspruch auf Spieleinsatz hat, von seiner öffentlichen Präsenz lebt. Auch dieser vermarktet sich insbesondere durch den Spielbetrieb an bspw. Vereine höherer Ligen mit entsprechend höherer Vergütung. Die Tatsache, dass auf Spieleinsatz kein Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis besteht, ändert an der Vergleichbarkeit nichts. Vielmehr ist zu beachten, dass die Teilhabe am Mannschaftstraining hinsichtlich der Leistung, Teamfähigkeit als auch sonstiger relevanter Komponenten für den Spieleinsatz essenziell ist, um zumindest die Chance auf Spielzeit und damit öffentlichen Auftritt zu haben. Eine Suspendierung vom Training schließt also zwingend den Spieleinsatz aus.

Auch dem Profisportler ist es nicht möglich, den entgangenen Gewinn genau zu beziffern, da eine Steigerung des Marktwertes durch Spieleinsatz ähnlich ungewiss ist, wie die Popularität des Bühnenkünstlers durch Öffentlichen Auftritt. Auch die ungewisse verbesserte Auftragslage des Künstlers ist damit vergleichbar, dass ein Sportler möglicherweise ohne die Suspendierung vom Training in eine höhere Liga mit besserer Vergütung hätte vermittelt werden können.

Folglich erscheint es im Hinblick auf die Gleichbehandlung iSv. Art 3 GG wohl notwendig, auch den Sportlern eine Pauschalierung zugutekommen zu lassen.

Bzgl. des seitens des BAG geforderten Vortrags des Sportlers von Anknüpfungstatsachen, welche ausreichend Anhaltspunkte für den nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Gewinn bringen und damit Grundlage für die Bemessung des Schadens darstellen, ist folgendes zu beachten:

Um den Schaden beziffern zu können, muss der Sportler darlegen und beweisen, dass die Suspendierung vom Mannschaftstraining zur Verschlechterung seiner Spielfertigkeiten führt, welche bei späteren Spieleinsätzen für eine schlechtere Leistung sorgen.

Auszuschließen ist, dass sich der Spieler in der Zeit der Suspendierung selbst ausreichend fit halten und an seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten arbeiten kann. Die körperliche Fitness kann aufrechterhalten werden, nicht aber solches Können, was ausschließlich im Mannschaftstraining erlangt wird.

Anschließend ist darzustellen, inwieweit die verschlechterte Leistung und fehlende Präsenz bei Spielen dazu beigetragen hat, dass andere Vereine gleicher oder höherer Ligen kein Interesse an der Beschäftigung des Spielers haben. Dies geht zum einen durch Zeugenbeweis etwaiger Spielvermittler, die mit entsprechenden Vereinen kommunizieren und die Ablehnungsgründe auf die verschlechterte Leistung bzw. fehlende Präsenz stützen.

Mit einzubeziehen ist weiterhin, die Zeit welche es bedarf, die mannschaftssportlichen Fähig- und Fertigkeiten wiederherzustellen, um das berufliche Fortkommen zu sichern.

Der Schaden lässt sich mithin sodann danach beziffern, wie der Gewinn ohne Leistungsabfall und fehlende Präsenz wohl ausgesehen hätte.

Verfahrensgang

BAG Urteil vom 29.02.2024- 8 AZR 359/22

LAG Sachsen, Urteil vom 01.07.2022, 4 Sa 45/22

ArbG Dresden, 04.11.2021 – 11 Ca 588/21

Stand: 10.06.2024

Ansprechpartner:

Sabine Stölzel (Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht)

Autorin des Kommentars:

Vivian Schüller (Rechtsreferendarin)

Kontaktdaten:

kontakt@stoelzel-gbr.de

+49 (0)351 486 70 70

Veröffentlicht in Arbeitsrecht, Fach-News, Sonstiges.