Die Auslegung von § 2 Abs. 1 S. 2 FPfZG ergibt, dass dieser einen Anspruch auf Familienpflegezeit im “Blockmodell” nicht vorsieht. Für eine Aufteilung in Phasen von Vollarbeit und vollständige Freistellung besteht kein Rechtsanspruch, so das Arbeitsgericht Bonn am 27.04.2022 (Az.: 4 Ca 2119/21) .
Werden Angehörige pflegebedürftig, ist es für Beschäftigte oft eine schwierige Situation, die häusliche Pflege und den Beruf vereinbaren zu können. Um die Bedingungen für pflegende Angehörige zu erleichtern, hat der Gesetzgeber das Modell der Pflegezeit und das der Familienpflegezeit geschaffen. Während einer Pflegezeit können sich Beschäftigte bis zu sechs Monate vollständig von der Arbeit freistellen lassen. Im Rahmen der Familienpflegezeit besteht die Möglichkeit, die individuelle Arbeitszeit für bis zu 24 Monate zu verringern, sich also teilweise freistellen zu lassen. Eine Entscheidung, ob diese teilweise Freistellung auch im sog. Blockmodell, d.h. mit einer zeitweiligen vollständigen Freistellung von der Arbeit, möglich ist, hatte das Arbeitsgericht Bonn (Urteil, vom 27.04.2022, Az.: 4 Ca 2119/21 ) zu treffen.
Verteilung der Familienpflegezeit auf Zeitabschnitte?
Die Mutter des Arbeitnehmers ist pflegebedürftig (Pflegegrad der Stufe 2). Aus diesem Grund kündigte der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber die beabsichtigte Familienpflegezeit vom 01.01.2022 bis 31.12.2023 an. Die Verteilung sollte wie folgt sein: Vom 01.01.2022 bis zum 20.05.2022 wollte der Arbeitnehmer in Vollzeit arbeiten. Vom 21.05.2022 bis zum 13.08.2023 begehrte der Arbeitnehmer eine vollständige Freistellung von seiner Arbeitsleistung und in der Zeit vom 14.08.2023 bis zum 31.12.2023 eine weitere Beschäftigung in Vollzeit.
Familienpflegezeit nach § 2 FPfZG
Gemäß § 2 Abs. 1 FPfZG sind Beschäftigte von der Arbeitsleistung für längstens 24 Monate (Höchstdauer) teilweise freizustellen, wenn sie einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung pflegen (Familienpflegezeit). Nach Satz 2 der Vorschrift muss die verringerte Arbeitszeit während der Familienpflegezeit wöchentlich mindestens 15 Stunden betragen.
Keine Familienpflegezeit im Blockmodell
Das Arbeitsgericht Bonn hat in diesem konkreten Fall entschieden, dass der Arbeitnehmer zwar grundsätzlich Anspruch auf Familienpflegezeit habe, aber nicht im gewünschten Blockmodell. Zu diesem Ergebnis kam das Gericht nach einer Auslegung der Anspruchsgrundlage.
Der Wortlaut des § 2 Abs. 1 S. 1 FPfZG spreche von einer teilweisen Freistellung und einer verringerten Arbeitszeit von wöchentlich mindestens 15 Stunden. Bei lebensnaher Betrachtung seien beide Formulierungen ein Indiz dafür, dass eine vollständige Freistellung von der Arbeit im Blockmodell nicht beabsichtigt war.
Auch Beschäftigte mit wöchentlich variierenden Arbeitszeiten können Familienpflegezeit in Anspruch nehmen. § 2 Abs. 1 S. 3 FPfZG enthält für diesen Fall die Regelung, dass eine Durchschnittsbetrachtung vorzunehmen ist. Hieraus lasse sich nach Ansicht des Gerichts wiederum der Rückschluss ziehen, dass es in allen übrigen Fällen, in denen Beschäftigte eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit erbringen, gerade nicht auf die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit über einen längeren Zeitraum ankomme, sondern dass die Arbeitszeit pro Woche mindestens 15 Stunden betragen müsse.
Darüber hinaus hätte es der Unterscheidung zwischen teilweiser oder vollständiger Freistellung in § 3 Abs. 1 S. 1 PflegeZG nicht bedurft, wenn die Bestimmungen in § 3 Abs. 1 S. 1 PflegeZG und § 2 Abs. 1 S. 1 FPfZG die gleiche Rechtsfolge hätten.
Zudem wäre dann auch die aus Anlass der Covid-19 Pandemie eingeführte Sonderregelung in § 16 FPfZG nicht notwendig gewesen, nach der die wöchentliche Mindestarbeitszeit von 15 Wochenstunden vorübergehend unterschritten werden durfte.
Schließlich sei Sinn und Zweck des Gesetzes, dass Beschäftigte weiterhin am Arbeitsleben teilhaben und Anspruch auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung haben. Arbeitgeber könnten im Gegenzug weiterhin auf die Kompetenz und Erfahrung der Beschäftigten zurückgreifen.
Praxistipp:
Die Auslegung des Arbeitsgerichts ist überzeugend und ein wichtiger Wegweiser für Arbeitgeber, deren Beschäftigte Familienpflegezeit in Anspruch nehmen wollen. Denn beim sogenannten Blockmodell würden sich für Arbeitgeber sowie für Beschäftigte nicht unerhebliche Risiken hinsichtlich der Sozialversicherung und des Arbeitsentgelts ergeben, für Arbeitgeber insbesondere dann, wenn diese in Vorleistung gehen. Zudem ist eine Insolvenzsicherung, wie im Rahmen der Altersteilzeit, bei der Familienpflegezeit nicht vorgesehen.
Stand: 17.01.2023
Ansprechpartner:
Sabine Stölzel (Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht)
Melanie Wilhelm (LL.M., Rechtsanwältin)
Kontaktdaten:
+49 (0)351 486 70 70